Soziale Politik Deutschlands
Würden Sie gerne auf diese Nachricht reagieren? Erstellen Sie einen Account in wenigen Klicks oder loggen Sie sich ein, um fortzufahren.

Die liberale Oligarchie?

Nach unten

Die liberale Oligarchie? Empty Die liberale Oligarchie?

Beitrag von Admin Do Jun 27, 2013 5:52 am

Marco Patriarca

Die liberale Oligarchie? Asd10


Ich kann leicht nachvollziehen, dass gerade politisch aktive Menschen keinen Zweifel an der Existenz einer fundierten und funktionierenden Demokratie haben. Sie erleben sie ja besonders nah. Auf der anderen Seite dürften niemanden Begriffe wie bspw. Politikverdrossenheit allzu fremd erscheinen und nicht nur die letzten einschlägigen Erhebungsergebnisse deuten auf eine deutliche Diskrepanz zwischen politischen Entscheidungen und dem sogenannten "Bürgerwillen" hin.
Da dies naturgemäß alle Politikfelder betrifft, möchte ich das Interesse zur Beschäftigung mit postdemokratischen Demokratiedefinitionen wecken.


Die liberale Oligarchie?

Die Diskussion über den Begriff „Postdemokratie“ könnte man vergleichen mit der Frage, wie viele Erdbeeren noch in einem Erdbeer-Joghurt sind. Auf der Verpackung findet man eine Vielzahl der saftigen roten Früchte, studiert man aber die Zutatenliste, wird man oft sehr enttäuscht sein und verliert den Appetit. Einige Politikwissenschaftler, allen voran Colin Crouch, fragen genau wie beim Joghurt, wie viel Demokratie noch in unseren westlichen Demokratien vorhanden ist und kommen zu dem Schluss, dass das Etikett nicht mit der Zutatenliste übereinstimmt. Diese Beobachtung erörterte Crouch in seiner „Postdemokratie“ und kommt zum Schluss, dass sich unser politisches System immer mehr von der Idee der Demokratie entfernt. Damit verabschiedet er sich von der Vorstellung, dass Demokratie ein Zukunftsprojekt ist, an dem fortwährend gearbeitet werden muss, um sich ihrer Vollendung zu nähern. Demokratie als teleologische Geschichtsbild legt Crouch zu den Akten und plädiert dafür, ihre Historie als parabelförmig zu begreifen. Den Höhepunkt demokratischer Entwicklung meint er im dritten Viertel des 20. Jahrhunderts zu erkennen, seit dem bewegen sich die politischen Systeme des Westens aber immer mehr in Richtung Postdemokratie.

   „Auf einer bestimmten Ebene bewegen wir uns über Demokratie hinaus: [...] In einem gewissen Sinn haben wir die Idee der Herrschaft des Volkes hinter uns gelassen, um die Idee der Herrschaft selbst in Frage zu stellen.“ (Colin Crouch)


So ist die Postdemokratie zwar keine Nicht-Demokratie, sie beschreibt allerdings eine Phase der Dekadenz, also der Erosion, demokratischer Institutionen, Werte und Handlungsweisen. Dies lässt sich durch vier Merkmale charakterisieren: Demokratische Institutionen und Prozeduren bleiben zwar formal erhalten, verlieren allerdings massiv an Bedeutung für die demokratischen Entscheidungen. Parteipolitik und Wahlkampf sind zunehmend inhaltsfrei. An ihre Stelle treten Symbolpolitik und personalisierter Wahlkampf. Politikinhalte werden von ökonomischen Interessen bestimmt, was auf eine starke Verbindung zwischen politischen und ökonomischen Akteuren verweist. Und schließlich verliert der Bürger als Demos massiv an Bedeutung und wird zunehmend aus dem politischen Prozess ausgeschlossen. Crouch beschreibt es folgendermaßen:

   „Während die demokratischen Institutionen formal weiterhin vollkommen intakt sind (und heute sogar in vielerlei Hinsicht weiter ausgebaut werden), entwickeln sich politische Verfahren und die Regierungen zunehmend in eine Richtung zurück, die typisch war für vordemokratische Zeiten: Der Einfluss privilegierter Eliten nimmt zu, in der Folge ist das egalitäre Projekt zunehmend mit der eigenen Ohnmacht konfrontiert.“ (Colin Crouch)


Der Politikwissenschaftler Hubertus Buchstein sieht den Begriff „Demokratie“ derzeit in einer vierten semantischen Transformation. Nach der Positivierung, der Futurisierung und der Komplettierung befindet er sich in einer Phase der Rationalisierung. (Mehr Infos: hier) So verwenden gegenwärtige Demokratie-Theorien einen Begriff, der zwischen Partizipation und rationalen Entscheidungen eine hohe Diskrepanz entdeckt und sich schließlich gegen die politische Beteiligung ausspricht; eine Folge der Output-Orientierung. Heute ginge es nach Buchstein darum die Politik-Ergebnisse so rational wie möglich zu gestalten, Beteiligung ist nicht mehr das Ziel und Zweck der Demokratie, sondern vielmehr nur noch eines mehrerer möglicher Mittel zur Erhöhung des Rationalitätsgrades politischer Entscheidungen. So wird Rationalität zum tieferen Sinn des Demokratiebegriffes

   „Die Produktion rationaler Politikergebnisse hat Vorrang vor allen anderen Aspekten der Demokratie. Die partizipative Komponente des Demokratiebegriffs wird dabei zu einer abhängigen Variable und muss gegebenenfalls zurückstehen. Die logische Konsequenz dieser Sichtweise besteht in der vollständigen Unterordnung der demokratischen Beteiligung und die Rationalitätszumutungen moderner Politik.“ (Hubertus Buchstein)


Dieser Trend zur Rationalisierung ist für Buchstein durch drei externe Produktionsmerkmale geprägt: die Komplexitätszuname, die soziokulturelle Pluralisierung und die postnationale Konstellation.
Die liberale Oligarchie? Qwe10

Komplexitätszunahme
Ältere Theorien gingen davon aus, dass die Bürger in Abstimmungen und Wahlen die Politik programmieren könnten, welche dann in Beschlüssen und Programmen umgesetzt würden. Diese einfache Vorstellung ist aber empirisch und theoretisch fragwürdig geworden. Offensichtlich wird dies bei Implementierungsschwierigkeiten regulativer Politik. Diese basieren laut Buchstein auf tatsächlichen Wandlungsprozessen, also auf gesteigerter gesellschaftlicher Komplexität, sowie auf sensibleren Sozialwissenschaften, die diesen Wandel feststellen. Dieser Umstand führt zu einem Trend zum „verhandelnden Staat“ bzw. zum Supervisionsstaat. Statt dirigistischer Steuerung setzt dieser auf neue Governance-Formen, welche allerdings zu einem Bedeutungsverlust der Legislative beitragen.
Die liberale Oligarchie? Kop10

Soziokultureller Wandel
Neben den Outputs werden aber auch die Inputs demokratischer Prozesse in Frage gestellt. Grundlegende Annahmen sind durch den gesellschaftlichen Wandel nicht mehr selbstverständlich. Das Phänomen „Politikverdrossenheit“ prägte in diesem Zusammenhang die Diskussion über gesellschaftlichen Gemeinsinn und politisches Interesse nachhaltig. Die moderne Gesellschaft hat sich pluralisiert, so dass Gruppen verschiedenster Weltanschauungen koexistieren, was die Gefahr birgt, dass partikulare Lebenskonzepte den öffentlichen Diskurs und somit politische Entscheidungen dominieren. Politikergebnisse müssen sich daher nicht daran messen lassen, wie demokratisch sie zustande kamen, sondern in welchem Maß sie mit philosophisch deduzierten Gerechtigkeitsprinzipien übereinstimmen.

Die liberale Oligarchie? Bvb10

Postnationale Konstellation
Weiterhin basiert der Trend zur Rationalisierung auch auf der reduzierten Handlungsfähigkeit der Regierungen, welche sich durch die Kompetenzverlagerung auf supranationale Instanzen (EU) und die erhöhte Bedeutung internationaler Kapitalgesellschaften im Rahmen der Globalisierung begründen lässt. Durch diese postnationale Konstellation verliert der Bürger immer mehr an Einflussmöglichkeiten, da immer weniger Entscheidungen im Wirkungskreis nationaler Regierungen getroffen werden. So haben sich die Rahmenbedingungen demokratischer Selbstregierung grundlegend verschlechtert, wodurch die Hegemonie rationaler Outputs begünstigt wurde.
Dieser Umstand macht es gerade normativen Demokratie-Theorien schwer, Gegenentwürfe zu kreieren, da wenn sie sich nicht dem gesteigerten Rationalisierungsdruck beugen, leicht als utopisch und unrealistisch gelten. Und obwohl Demokratie immanent Partizipation verspricht, scheint die Demokratie des 21. Jahrhundert dieses Versprechen nicht halten zu können. Auf diese Weise entsteht immer mehr eine „Demokratietheorie ohne Demokratie“

Einige Autoren plädieren sogar dafür, sich von dem Begriff „Demokratie“ zur Beschreibung der modernen westlichen politischen Systemen zu verabschieden und einen wissenschaftlich angemesseneren Terminus zu verwenden. Danilo Zolo und Michael Lind plädieren sogar für ihre Bezeichnung als 'liberale Oligarchien'.

Dass man unter diesen Bedingungen auch von einer „aufkommenden Epoche der Postdemokratie“ spricht, ist eine durchaus nachvollziehbare Reaktion. Denn dadurch ließe sich der ideologische Charakter gegenwärtiger Demokratie-Theorien reduzieren, die in einer immer größeren Distanz zum eigentlichen Demokratiebegriff stehen. Auch die legitimatorische Last westlicher Systeme ließe sich dadurch verringern. Allerdings spricht wenig dafür, dass eine solche Umbenennung tatsächlich stattfinden wird, versprechen sich doch die Angehörigen der politischen Klasse vom Begriff „Demokratie“ naturgemäß eine Legitimationssteigerung.

   „Man fühlt sich hier an die Beiträge US-amerikanischer Politikwissenschaftler aus den fünfziger und frühen sechziger Jahren erinnert, die lieber ihre Definition der Demokratie an die politische Realität der USA und Großbritanniens anpaßten, als einzusehen, daß mit den politischen Ordnungen dieser Länder irgend etwas nicht in Ordnung sein könnte.“ (Colin Crouch)

Die liberale Oligarchie? Axy10

Admin
Admin

Anzahl der Beiträge : 338
Anmeldedatum : 27.06.13

https://igsozialstaat.forumieren.com

Nach oben Nach unten

Nach oben


 
Befugnisse in diesem Forum
Sie können in diesem Forum nicht antworten