Soziale Politik Deutschlands
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Beitrag von Admin Do Jun 27, 2013 8:55 am

Das Interview mit Prof. Hartmann spiegelt meine Ansicht wieder. Letztendlich bestimmt vornehmlich eine relativ kleine Elite den politischen Gang. Sie berücksichtigt dabei nicht die Meinung der breiten Bevölkerung, sie ist der Ansicht besser zu wissen, was "richtig" ist (Postdemokratie):
"Das heißt, auch in der Politik gilt die Regel, je mächtiger eine Institution ist, umso höher ist der Anteil der Bürger- und Großbürgerkinder in dieser Institution, was umgekehrt bedeutet: Die Bürger- und Großbürgerkinder mit ihren Einstellungen, die vollkommen konträr zu denen der Bevölkerung liegen, sind dort am einflussreichsten, wo die Macht am größten ist und die wirklich wichtigen Entscheidungen getroffen werden."
Diese Erkenntnis muss sich weiter durchsetzen und es muss ein Druck von unten entstehen. In meinen Augen gälte gerade der SPD die Pflicht sich der Situation offen zu stellen. Wenn sie das tut, dann bisher aber nicht ausreichend und konsequent genug.


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Beitrag von Admin Do Jun 27, 2013 8:56 am

"SWR2 Aula vom 23.06.2013
Einmal arm, immer arm – Soziale Gerechtigkeit in Deutschland
Von Professor Michael Hartmann
Ansage:

Mit dem Thema: „Einmal arm, immer arm – Soziale Gerechtigkeit und die deutschen
Eliten“.

Der deutschen Bevölkerung ist klar: Soziale Gerechtigkeit ist das Thema ganz oben
auf der politischen Agenda. Die Kluft zwischen Arm und Reich, Niedriglöhne, von
denen man kaum leben kann, Ausbeutungsmuster gemäß dem gierigen
Kapitalismus, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, gleichzeitig steigende
Managergehälter – all das schürt Unzufriedenheit bei den Bürgern und Bürgerinnen,
eine Mehrheit wünscht sich politische Entscheidungen in Richtung mehr
Gerechtigkeit. Doch komischerweise kommt diese Botschaft bei den Adressaten
nicht an, bei Politikern und Unternehmern, bei den Eliten.

Woran liegt das? An der Ignoranz und Abgehobenheit der deutschen Eliten, sagt
Professor Michael Hartmann, Soziologe und Eliteforscher an der TU Darmstadt.


Michael Hartmann:

„Soziale Gerechtigkeit“ – unter diesem Motto führen die Oppositionsparteien dieses
Jahr ihren Bundestagswahlkampf. Sie greifen damit eine Stimmung auf, die in der
Bevölkerung weit verbreitet ist und die sich in den letzten Jahren verstärkt hat. Solide
sozialwissenschaftliche Umfragen zeigen, dass drei Vierteil der Befragten die
sozialen Unterschiede in Deutschland als ungerecht empfinden. Fast ebenso große
Mehrheiten finden sich, wenn man nach konkreten politischen Maßnahmen finanz-
und arbeitsmarktpolitischer Art fragt: Eine Erhöhung der Steuern für hohe
Einkommen und Vermögen befürworten zwischen 66 und über 70 Prozent. Geht es
um die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns – in der Regel 8,50 Euro – so
liegen die Mehrheiten nicht ganz so hoch, übertreffen zumeist aber auch die Marke
von zwei Dritteln. Das heißt, eine überwältigende Mehrheit wünscht sich
Veränderungen, die zu einer Angleichung der sozialen Verhältnisse in Deutschland
führen.

Die Bevölkerung reagiert damit auf eine deutliche Verschlechterung der sozialen
Lage seit der Jahrtausendwende. Um nur ein paar Beispiele und Zahlen zu nennen:
Am „unteren Ende“ der Bevölkerung hat zwischen 2000 und 2005 die Armut um über
40 Prozent zugenommen, sie hat sich auf diesem Niveau ungefähr bis 2009
stabilisiert und danach noch einmal um gut 10 Prozent zugenommen. D. h. die Armut
ist binnen eines Jahrzehnts um über 50 Prozent angestiegen. Auf der anderen Seite
hat die Zahl der Milliardäre im selben Zeitraum ebenfalls um fast 50 Prozent
zugenommen – inzwischen gibt es 115 Milliardäre in diesem Land. Am unteren Ende
arbeitet inzwischen jeder Achte für maximal 7 Euro pro Stunde, 4 bis 5 Prozent
bekommen sogar maximal 5 Euro pro Stunde. Es gibt also einen richtig großen
Sektor von „working poor“, von Menschen, deren Einkommen von der
Bundesagentur für Arbeit durch Hartz IV aufgestockt werden müssen. Insgesamt sind
das 1,3 Millionen Menschen. Das frisst jedes Jahr ein Drittel des Etats der von der
Bundesregierung für diese Maßnahmen zur Verfügung gestellt wird, ist also indirekt
eine Subventionierung von Niedriglöhnen. Der Niedriglohnsektor Deutschland ist der 3

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Beitrag von Admin Do Jun 27, 2013 8:56 am

SWR2 Aula vom 23.06.2013
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Von Professor Michael Hartmann
zweitgrößte in den Industrieländern nach den USA und betrifft inzwischen fast jeden
vierten Beschäftigten.

Auf der anderen Seite verzeichnen wir eine enorme Zunahme hoher Einkommen und
Vermögen. Das gilt nicht nur für Milliardäre, sondern auch für Spitzenmanager. Bis
Mitte der 90er Jahre verdienten die Vorstandsmitglieder der großen Dax-Konzerne
das 14-fache dessen, was durchschnittlich Beschäftigte dort verdienten – und die
durchschnittlich Beschäftigten bei Konzernen wie der Deutschen Bank, Daimler oder
Volkswagen verdienen alle überdurchschnittlich gut. Investment-Banker streichen
zum Teil zweistellige Millionensummen jährlich ein. Dieser Unterschied ist vom 14-
fachen binnen einem Jahrzehnt auf das 54-fache gestiegen. Diese Kluft ist
mittlerweile so groß geworden, dass sie einer zunehmenden Zahl von Menschen
vollkommen unverständlich ist.

Es fragt sich nun, warum es auf diesem Gebiet trotz eindeutiger Mehrheiten in der
Bevölkerung so gut wie keine Änderung gegeben hat. Weder haben wir Ansätze,
einen gesetzlichen Mindestlohn verbindlich einzuführen, wir haben allenfalls einzelne
Maßnahmen in diese Richtung. Und noch weniger wird von den Verantwortlichen
ernsthaft darüber nachgedacht, die Steuerbelastung für hohe Einkommen, Vermögen
oder gar für Erbschaften wieder anzuheben, die ja in den letzten gut 10 Jahren
gravierend gesunken ist.

Warum ist das so? Entscheidend ist in dieser Hinsicht die Einstellung der Eliten
selber, das heißt jenes Teils der Bevölkerung, der die maßgeblichen Entscheidungen
über alle wichtigen Prozesse trifft. Dieser Frage nachzugehen, war ein Ziel eines
umfassenden Forschungsprojekts, das zwischen Herbst 2011 und Herbst 2012
durchgeführt worden ist. Im Rahmen dieses Forschungsprojekts ist ein Sozialprofil
jener Personen erstellt worden, die die 1.000 wichtigsten Machtpositionen in
Deutschland besetzen, also der Mitglieder der Bundesregierung, der Staatssekretäre
auf Bundesebene, der Ministerpräsidenten, der Finanzminister der Länder, der
Justiz- und Innenminister der großen Flächenstaaten, der beamteten Staatssekretäre
und der Abteilungsleiter in den Bundesministerien, der hohen Bundesrichter, der
Spitzenmilitärs, der Spitzenmanager, das heißt der Vorstands- und
Aufsichtsratsvorsitzenden der gut 200 größten deutschen Unternehmen und auch
der Spitzen der Gewerkschaften, der Kirchen und der gesellschaftlichen Verbände,
wobei letztere nur gut ein Fünftel ausmachten, entsprechend ihrer realen
Durchsetzungsfähigkeit. Im Rahmen dieses Projekts ist nicht nur das Sozialprofil
erhoben worden, sondern diese Personen sind auch befragt worden zu ihren
Einstellungen zu gesellschaftspolitischen Entwicklungen. Ein wesentlicher Teil bezog
sich auf ihre Einstellung zu sozialer Ungleichheit in diesem Land und zu konkreten
Maßnahmen, mit denen man dieser sozialen Ungleichheit eventuell beikommen
kann, zumindest zu den Maßnahmen, die in der Bevölkerung große Mehrheiten
finden.

Das Ergebnis war ganz und gar eindeutig: Die Eliten denken mehrheitlich über all
diese Punkte vollkommen anders als die Bevölkerung. In der Frage, wie gerecht die
Eliten die sozialen Unterschiede in diesem Land finden, zeigt sich: Während sie in
der Bevölkerung drei von vier Befragten ungerecht finden, sind es unter den Eliten
gerade mal 43 Prozent, also nicht einmal die Hälfte. Wenn man nach konkreten
Maßnahmen fragt, werden die Differenzen sogar noch größer. Das betrifft sowohl die 4

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Beitrag von Admin Do Jun 27, 2013 8:57 am

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Von Professor Michael Hartmann
Finanzpolitik als auch die Abeitsmarktpolitik. Die Frage nach höheren Steuern auf
Einkommen, Vermögen und Erbschaften beantworten in der Bevölkerung fast drei
von vier Menschen positiv; unter den Eliten sieht es fast umgekehrt aus: Im
Verhältnis 2 : 1 lehnen sie höhere Steuern ab. Auch der Mindestlohn wird von den
Eliten mehrheitlich nicht gewünscht. Dafür gibt es eine 4 : 1-Mehrheit für eine weitere
Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, also für die Fortsetzung der Politik, die uns den
Niedriglohnsektor beschert hat, die befristeten Arbeitsverträge, die
Leiharbeitsverhältnisse und ähnliches. Man kann sagen, dass die Eliten in ihrer
Mehrzahl die Wirklichkeit ganz offensichtlich vollkommen anders sehen als die
Bevölkerung. Das gilt quer Beet für alle Bereiche, auch für die Finanzkrise, worauf
ich später noch zu sprechen komme.

Interessant ist auch ein Blick auf Unterschiede innerhalb der Eliten. Ihre Ansichten
hängen enorm von ihrer eigenen sozialen Herkunft ab. Grob skizziert kann man
sagen: Arbeiterkinder, die es bis in Elite-Positionen geschafft haben, denken relativ
ähnlich wie die „normale“ Bevölkerung, wenn auch etwas weniger ausgeprägt.
Großbürgerkinder, das heißt die Personen, die in reichen und/oder mächtigen
Elternhäusern aufgewachsen sind, denken vollkommen anders. Um das an
einzelnen Fragen deutlich zu machen: Die Frage, ob die sozialen Unterschiede in
Deutschland gerecht sind, beantworten Arbeiterkinder im Verhältnis 2 : 1 mit Nein.
Das ist nicht ganz so deutlich wie in der Bevölkerung, aber doch relativ nahe dran.
Die Großbürgerkinder finden die Verhältnisse dagegen gerecht, ebenfalls mit 2 : 1.
Nimmt man die beiden Mittelgruppen, das heißt jene, die in normalen
Mittelschichtfamilien aufgewachsen sind oder in bürgerlichen Familien, wobei
bürgerliche Familien ungefähr 3 Prozent der Bevölkerung am oberen Ende umfassen
(das Großbürgertum nur die oberen 5 Promille), so zeigt sich, dass die
Mittelschichtkinder in fast allen Fragen relativ nah an den Arbeiterkindern sind, wenn
auch nicht ganz so deutlich wie die Arbeiterkinder, während die Bürgerkinder in den
meisten Fragen nah an den Großbürgerkindern liegen.

Das heißt, auch bei der großen Mitte der Elite-Angehörigen zeigt sich, dass die
soziale Herkunft prägend ist. Warum das so ist, wird wahrscheinlich am deutlichsten,
wenn man konkrete Fragen stellt, die die einzelnen Eliten auch materiell betreffen,
zum Beispiel die Besteuerung höherer Einkommen und Vermögen. Dort antworten
die Arbeiterkinder mit einer Mehrheit von 5 : 2, ja, höhere Besteuerung von höheren
Einkommen, Vermögen und Erbschaften ist wichtig. Die Großbürgerkinder antworten
mit einer Mehrheit von 9 : 2, dass das unwichtig ist. Hier geht es ganz offensichtlich
darum, wie die eigene Lebensgeschichte verarbeitet und die eigene Situation
bewertet wird. Arbeiterkinder, und das gilt selbst für die, die es in der Wirtschaft zu
Spitzenpositionen gebracht haben, haben ganz offensichtlich noch in Erinnerung, wie
mühsam der Weg nach oben war. Sie empfinden die vielen Hindernisse, die sie auf
ihrem Weg überwinden mussten, als ungerechtfertigt, sie empfinden die Verhältnisse
mehrheitlich als ungerechtfertigt, und sie sind der Meinung, dass der Staat über
höhere Steuern in die Lage versetzt werden muss, eine Infrastruktur anzubieten, die
auch Arbeiterkindern die Möglichkeit bietet, sozial aufzusteigen.

Großbürgerkinder sehen das vollkommen anders: Sie sind in gesicherten, zum
großen Teil in wohlhabenden oder reichen Verhältnissen aufgewachsen, ihr
Lebensweg war weitgehend in Richtung nach oben vorgezeichnet. Sie mussten sich
nie ernsthaft damit beschäftigen, ob sie nun ein Gymnasium besuchen, studieren 5

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Beitrag von Admin Do Jun 27, 2013 8:58 am

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Von Professor Michael Hartmann
und einen guten Beruf finden. Das war alles selbstverständlich. Genauso
selbstverständlich war, dass die Familie wohlhabend oder reich war. Das ist nicht als
Problem aufgefasst worden, sondern so ist die Gesellschaft eben, und der Vater hat
ja auch hart gearbeitet dafür. Ihr Verständnis dieser Welt ist geprägt davon, dass
das, was sie als Kind kennengelernt haben, für sie selbstverständlich war. Sie gehen
dementsprechend mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit auch anders um.

Das gilt besonders beim Thema Steuern. Denn in dieser Welt gibt es traditionell so
etwas wie zwei Grundwahrheiten: Die eine Grundwahrheit ist: Der Staat nimmt uns
viel zu viel von unserem hart erarbeiteten Einkommen und Vermögen weg; die zweite
Grundwahrheit lautet, der Staat kann mit Geld nicht umgehen. Die Konsequenz
daraus ist logisch: Man sollte dem Staat nicht zu viel von dem hart erarbeiteten Geld
geben. Das führt in Extremfällen, und diese Extremfälle sind in diesen Kreisen nicht
so selten, wie die ununterbrochene Kette von Skandalen von Klaus Zumwinkel bis zu
Uli Hoeneß zeigt, zum Teil dazu, dass man illegale Wege geht, um Steuern zu
sparen. Mehrheitlich jedoch nutzt man die vielen Grauzonen des deutschen
Steuerrechts, um Steuerpflichten entgehen zu können. Das ist eine dort weit
verbreitete Sicht der Dinge. Sie bezieht sich genauso auf andere Themen, ist aber
wohl am ausgeprägtesten dort, wo es die eigenen Einkommen und Vermögen betrifft.
Ein zweiter Punkt kommt dazu: Bei den Arbeiterkindern in der Wirtschaft geht es
zwar auch um hohe Einkommen, aber nicht um familiär ererbte Vermögen,
Erbschaften usw. Das ist bei den Großbürgerkindern und auch bei den Bürgerkindern
anders. Vor allem bei den Großbürgerkindern geht es zum Teil um dreistellige
Millionen- oder gar Milliardenbeträge, wenn man über Erbschaften redet, zum
Beispiel bei den Erben großer Konzerne, die im Sample vertreten waren. Dort findet
man häufig Positionen, die Steuern generell eher für ein Übel halten. Und wenn man
sich überhaupt bereit erklärt, höhere Steuern zu zahlen, und tatsächlich gibt es kleine
Minderheit, zu der gehört zum Beispiel Michael Otto, der Erbe des Otto-Konzerns,
dann nur in Form höherer Einkommenssteuern und auf keinen Fall in Form von
Vermögenssteuern, höheren Erbschaftssteuern oder ähnlichem.

Fragt man diese Eliten nun nach anderen Punkten, zum Beispiel danach, wie sie zur
Einführung eines Mindestlohns stehen, so zeigen sich ähnliche
Mehrheitsverhältnisse. Von den Arbeiterkinder wird die Einführung eines
Mindestlohns mit deutlicher Mehrheit von 5 : 2 für wichtig gehalten, die
Großbürgerkinder lehnen sie mit der gleichen Mehrheit ab. Auch hier spielt die
eigene Lebensgeschichte eine nicht unwesentliche Rolle. Arbeiterkinder können sich
schlicht und einfach besser in die Lage von Beschäftigten hinein versetzen, die am
unteren Ende der Skala zusehen müssen, wie sie mit ihrem relativ geringen Gehalt
sich selber oder gar ihre Familien über Wasser halten können. Bei
Großbürgerkindern hat das nie eine Rolle gespielt. Hinsichtlich der Flexibilisierung
des Arbeitsmarktes sieht es ähnlich aus. Bei den Eliten insgesamt spricht sich eine
Mehrheit von 4 : 1 für eine weitere Flexibilisierung aus, das heißt für noch mehr
Leiharbeit, befristete Arbeitsverhältnisse und ähnlichem. Auch hier unterscheiden
sich Arbeiter- und Großbürgerkinder deutlich: Während bei Arbeiterkindern die
Mehrheit nur relativ knapp ausfällt, sehen die Großbürgerkinder im Verhältnis 10 : 1
eine Fortsetzung als wichtig an. Noch interessanter ist aber, dass die Mehrheiten für
eine weitere Flexibilisierung am stärksten ausfallen in jenen beiden Sektoren, wo die
Flexibilisierung schon am weitesten voran geschritten ist, nämlich in der Wirtschaft
und in der Wissenschaft. Für mich am erstaunlichsten war, dass in der Wissenschaft, 6

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Beitrag von Admin Do Jun 27, 2013 8:59 am

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Von Professor Michael Hartmann
wo für die Mehrheit der Nachwuchswissenschaftler befristete Arbeitsverhältnisse von
maximal einem Jahr haben, die Mehrheit der verbeamteten Spitzenwissenschaftler
eine weitere Flexibilisierung für sinnvoll halten. Das ist angesichts der realen
Situation nur dadurch zu erklären, dass sie schlicht und einfach die Wirklichkeit der
normalen Nachwuchswissenschaftler nicht mehr zur Kenntnis nehmen oder einfach
keine Ahnung davon haben, und dass sie es als angenehm empfinden,
Wissenschaftler zu ersetzen, wenn es Probleme irgendwelcher Art gibt.

Was die Finanzkrise angeht, so zeigt sich das Muster in gleicher Form: Während in
der breiten Bevölkerung fast 9 von 10 Befragten die Banken für die Finanzkrise
verantwortlich machen, sieht es bei den Eliten anders aus: Dort ist eine satte
Mehrheit der Meinung, der entscheidende Faktor für die Finanzkrise sei die
Staatsverschuldung. Das gilt für alle Herkunftsgruppen, auch hier wieder am
stärksten für die Großbürgerkinder. Das ist angesichts der Tatsache, dass die
Banken durch ihre Politik in den ersten sechs, sieben Jahren dieses Jahrtausends
entscheidend zum Ausbruch der Finanzkrise geführt haben, relativ unverständlich,
zeigt aber, wie erfolgreich die Banken dabei waren, an ein Verständnis anzuknüpfen,
dass der Staat letztendlich mit Geld nicht umgehen kann. Und dieses Verständnis
hängt stark mit der sozialen Herkunft der Eliten zusammen.

Nimmt man all das zusammen, zeigt sich, wie entscheidend es ist, dass die
deutschen Eliten sich mehrheitlich aus Bürger- und Großbürgertum rekrutieren.
Nimmt man alle Eliten zusammen, so stammen gut 62 Prozent aus diesem Milieu.
Ganz vorne liegen die großen Privatunternehmen mit einem Anteil von über 83
Prozent, die hohe Justiz kommt auf zwei Drittel, die Wissenschaftsspitzen, Vertreter
der Medien und die Vertreter der hohen Verwaltung kommen auf etwa 62 Prozent,
Politiker liegen bei unter 50 Prozent, das heißt die Mehrheit der Politiker stammt
immer noch aus der breiten Bevölkerung. Völlig aus dem Raster fallen die
Gewerkschaftsspitzen, die Kirchenspitzen und auch die Spitzen der
gesellschaftlichen Verbände, wo Bürger- und Großbürgerkinder nur eine kleine
Minderheit darstellen.

Interessant ist, dass in den Medien wie in der Wirtschaft eine krasse Kluft herrscht
zwischen jenen, die in privater Hand sind, und jenen Unternehmen, die in
öffentlichem Eigentum sind. Bei den privaten Medienunternehmen sieht es fast
genauso aus wie bei den privaten Wirtschaftsunternehmen: Dort stammen 77
Prozent der Chefredakteure und Herausgeber aus bürgerlichen oder
großbürgerlichen Haushalten; bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gibt
es eine Mehrheit der Intendanten und Programmdirektoren, die aus der
Normalbevölkerung stammen. Genauso verhält es sich bei den öffentlich-rechtlichen
Unternehmen der Energieversorgung und ähnlichem. Auch dort gibt es eine Mehrheit
von Spitzenmanagern, Vorstandsvorsitzenden wie Aufsichtsratsvorsitzenden, die aus
der Normalbevölkerung stammen. Das heißt, in jenen Institutionen, die öffentlichem
Einfluss unterliegen, sieht die soziale Rekrutierung anders aus. Das ist der Einfluss
der Politik.

Aber auch in der Politik muss man konstatieren, dass die Politik nicht einheitlich ist.
Wenn man die drei Bereiche unterscheidet, die Bundesregierung inklusive
Staatssekretäre, die Länderexekutive, die Ministerpräsidenten und die wichtigen
Landesminister und die Bundeslegislative, das heißt, die Ausschussvorsitzende, die 7

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Beitrag von Admin Do Jun 27, 2013 8:59 am

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Fraktionsvorsitzenden und die Parteivorsitzenden, zeigt sich, je machtvoller die
Politik ist, umso höher fällt der Anteil der Großbürger- und Bürgerkinder aus, in der
Bundesexekutive stellen sie mit 55 Prozent eine spürbare Mehrheit, in der
Länderexekutive sind es nur noch gut 40 Prozent, die aus diesem Milieu stammen,
und in der Legislative sind es nur noch gut 30 Prozent. Das heißt, auch in der Politik
gilt die Regel, je mächtiger eine Institution ist, umso höher ist der Anteil der Bürger-
und Großbürgerkinder in dieser Institution, was umgekehrt bedeutet: Die Bürger- und
Großbürgerkinder mit ihren Einstellungen, die vollkommen konträr zu denen der
Bevölkerung liegen, sind dort am einflussreichsten, wo die Macht am größten ist und
die wirklich wichtigen Entscheidungen getroffen werden.

Für den Mediensektor bedeutet das, bei den großen Privatmedien, vor allem im
Printbereich, herrschen in den Spitzenpositionen andere soziale
Herkunftsverhältnisse als in den öffentlich-rechtlichen, was zum Teil erklären mag,
dass die Medienbeiträge, die sich eher kritisch mit den sozialen Verhältnissen
auseinander setzen, im öffentlich-rechtlichen Bereich doch noch häufiger zu finden
sind als im privaten, wenn auch die Unterschiede zumeist nicht sehr groß sind.

In der Konsequenz bedeutet das, dass die deutschen Eliten dieses Land nach
Maßstäben und mit Einstellungen führen, die schon in den letzten gut zehn Jahren
maßgebend waren für ihre Politik und dass sich keine durchgreifende Änderung
abzeichnet. Das gilt zum Teil auch für die Oppositionsparteien. Wenn man sich die
SPD und ihr Kompetenzteam anguckt, so wird es in fast gleicher Größe bestückt von
Personen, die für die Agenda 2010 stehen, und von Personen, die diese Agenda
ablehnen, so dass man nicht recht weiß, wie die zukünftige Politik der Parteien nun
sein wird. Alle anderen wesentlichen Eliten sind aber relativ eindeutig für eine
Fortführung des bisherigen Kurses, das gilt für die Steuerpolitik, die
Arbeitsmarktpolitik oder für die Reaktionen auf die Finanzkrise. So sehen leider auch
die bisherigen Ergebnisse bislang aus.

Auf Seiten der Bevölkerung führt das mehr und mehr zu einer so tiefgreifenden
Desillusionierung, dass das, was der britische Soziologe Colin Crouch einmal als
Postdemokratie bezeichnet hat, zunehmend mit der Wirklichkeit übereinstimmt.
Postdemokratie bedeutet, dass alle formalen demokratischen Prozeduren
zunehmend inhaltsleer werden, dass die Bevölkerung nicht mehr aktiv teilnimmt am
demokratischen Prozess und dass alle wesentlichen Entscheidungen in kleinen
Kreisen von den Elite-Angehörigen ausgehandelt werden.

Diese Entwicklung zeichnet sich in Deutschland bei Wahlen schon sehr deutlich ab.
Wenn man sich die Wahlbeteiligung anschaut, so liegt sie in den sozialen
Brennpunkten der Großstädte selbst bei Landtagswahlen inzwischen deutlich unter
50 Prozent, bei Bundestagswahlen zwischen 50 und 60 Prozent, während in den
gutbürgerlichen Wohnvierteln die Wahlbeteiligung immer noch um die 85 Prozent
liegt. Vergleicht man das mit den Wahlbeteiligungen in der zweiten Hälfte der 90er
Jahre, so hat es in den gutbürgerlichen Wohnvierteln einen Rückgang um knapp 10
Prozent gegeben, in den sozialen Brennpunkten einen Rückgang von über 30
Prozent. Die Menschen dort haben offenbar weitgehend das Gefühl „die da oben, die
Eliten interessieren sich nicht für uns, wozu sollen wir noch wählen, für uns kommt
sowieso nichts dabei heraus“. Sie klinken sich aus dem demokratischen Prozess, in
diesem Fall aus dem Wahlvorgang, weitgehend aus. Dieser Prozess wird sich

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Beitrag von Admin Do Jun 27, 2013 9:00 am

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vermutlich in den nächsten Jahren fortsetzen. Umgekehrt ist auf Seiten der Eliten
eine Haltung zu konstatieren, die immer stärker dem entspricht, was Tony Blair in
seiner Autobiografie kurz und prägnant so zusammengefasst hat: Über den
wirklichen Durchbruch an politischer Erkenntnis bei ihm selbst sagt er, er wäre da
eingetreten, als er begriffen hätte, dass politische Führung nicht bedeute, dass er
wisse, was die Bevölkerung wolle, sondern dass er wisse, was er im Interesse der
Bevölkerung für richtig halte. Das heißt, die Eliten nähern sich einem Punkt, an dem
nicht nur die Interessen der Bevölkerung maßgeblich sind, sondern das, was sie im
Interesse der Bevölkerung für wichtig halten. Und wenn man das Beispiel Tony Blair
nimmt, muss man sich schon fragen, ob das, was er für richtig gehalten hat, wirklich
richtig war. Denn die zwei wesentlichen Entscheidungen seiner Amtszeit waren zum
einen die ununterbrochene Forcierung der Deregulierung des Finanzsektors, die
katastrophale Folgen für die britische Volkswirtschaft gehabt hat, an der
Großbritannien heute schwer leidet; und zweitens der Einmarsch in den Irak, der mit
Lügen offiziell vorbereitet worden ist. Im Nachhinein muss man sagen, die
Bevölkerung hat ganz offensichtlich ein deutlich besseres Empfinden dafür gehabt,
was richtig für sie ist als Tony Blair.

Daraus folgt: Wenn sich die politischen Verhältnisse in Deutschland in der Richtung
ändern sollen, die die Mehrheit der Bevölkerung für angemessen hält, nämlich die
sozialen Unterschiede in diesem Land wieder zu verringern und ein Mehr an sozialer
Gerechtigkeit herbeizuführen, dann kann man sich nicht auf die Eliten verlassen. Die
Eliten werden mehrheitlich, solange die soziale Zusammensetzung ist, wie sie ist, die
jetzige Politik mit hoher Wahrscheinlichkeit fortsetzen. Die einzige Chance, diesen
Kurs zu ändern, wird sein, vor allem auf die politische Elite öffentlich Druck
auszuüben.

Die Bundestagswahl im September wird zeigen, ob die Bevölkerung mehrheitlich zu
diesem Schritt bereit ist oder ob in einer Mischung aus Resignation und dem Gefühl,
Gott sei Dank ist das Schlimmste in der Euro-Krise an uns vorbei gegangen, eine
Politik weiter gewählt wird, die diesen Kurs in den nächsten Jahren fortsetzen wird.

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Beitrag von Admin Do Jun 27, 2013 9:00 am

* Zum Autor:
Michael Hartmann wurde 1952 geboren, ab 1971 Studium der Politikwissenschaften,
Germanistik, Soziologie, Philosophie, Psychologie und Geschichte, 1979 Promotion
zum Dr. phil.; 1983 Habilitation. Seit 1999 ist Hartmann Professor für Soziologie an
der TU Darmstadt. Arbeitsschwerpunkte: Eliteforschung, Industrie- und
Organisationssoziologie, Managementsoziologie, Globalisierung und nationale
Wirtschaftsstrukturen."

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