Soziale Politik Deutschlands
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Beitrag von Admin Do Jun 27, 2013 6:12 am

Marco Patriarca


Stellungnahme zum Sanktionsmoratorium, Prof. Dr. jur. Helga Spindler

"[...] Die Öffentlichkeit hat demgegenüber noch nicht wahrgenommen, dass außer der Absenkung der Regelleistungen im Vergleich zur früheren Arbeitslosen- und Sozialhilfe auch die Rechte und Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeitslosen Schritt für Schritt abgebaut worden sind. [...]
Warum engagiere ich mich als Sozialjuristin also für ein Moratorium bei Sanktionen[...]

- [damit] beide Seiten wieder gleichberechtigt miteinander reden müssen [Behördenmitarbeiter und Arbeitssuchender] [...]

- [damit] Eingliederungsvereinbarungen nicht als einseitige Vordrucke mit endloser Sanktionsandrohung unterschrieben werden müssen [...]

- [damit] Arbeitslose nicht Angst vor dem finanziellen Absturz haben müssen, wenn sie über ihren Lohn verhandeln [...]

- [Arbeitssuchende, die] Maßnahme ablehnen wollen, die für sie keinen Nutzen bring[en, dies ohne Angst könnten] [...] Maßnahmen [...] die der Betroffene nicht beeinflussen kann (vom wiederholten Bewerbungstraining über Praktika ohne Anstellungsperspektive bis hin zur Arbeitsgelegenheit, die aber nicht entsprechend bezahlt wird und reguläre Arbeitsplätze verdrängt). [...]

- Die Mitarbeiter der Behörde könnten sich wieder auf echte Vermittlungs- und Beratungsarbeit konzentrieren, statt unrealistische Vorgaben zur Kostensenkung und Statistikverschönerung einhalten zu müssen. [...]

Das wäre ein Signal an alle Arbeitslosen, dass sie gefragt sind, ihre Fähigkeiten beim Umgang mit der Krise einzubringen. [...]

Mit dem Anwachsen der Arbeitslosigkeit droht eine bequeme weitere Statistikbereinigung auf Kosten der rechtlosen Arbeitslosen, die sich immer schwerer wehren können. Der Arbeitgeberpräsident forderte kürzlich: “Die Wirtschaft braucht in der gegenwärtigen Lage ein Belastungsmoratorium.“ Die Arbeitslosen haben keinen so einflussreichen Präsidenten, aber ein Belastungsmoratorium brauchen sie mindestens auch!"

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Beitrag von Admin Do Jun 27, 2013 6:13 am

Prof. Dr. jur. Helga Spindler

Professorin für Öffentliches Recht, Sozialrecht und Arbeitsrecht, Universität Duisburg-Essen,
Fakultät Bildungswissenschaften, Institut für Soziale Arbeit und Sozialpolitik


Stellungnahme zum Sanktionsmoratorium

Ich beschäftige mich seit etwa 20 Jahren mit staatlichen Leistungen für Arbeitslose und es hat in diesen Rechtssystemen in Deutschland schon immer die Möglichkeit gegeben, in bestimmten Fällen die Leistung zu versagen, d.h. sozialrechtliche Sanktionen zu verhängen. Außerdem kann man Sanktionen durch unabhängige Gerichte überprüfen lassen, wenn man mit der Begründung nicht einverstanden ist.

Warum engagiere ich mich als Sozialjuristin also für ein Moratorium bei Sanktionen, mit denen ich lange Zeit leben konnte? Sollen die Arbeitslosen jetzt der schwer arbeitenden Bevölkerung auf der Nase herumtanzen und in den Behörden das Chaos ausbrechen?

In meinen Augen keineswegs:
Während die überstürzte Umorganisation der Arbeitsverwaltung ein bis heute nicht bewältigtes Chaos ausgelöst hat, würde sich durch das Moratorium zunächst nichts ändern – Anträge würden gestellt und überprüft wie bisher, falsche Angaben und Schwarzarbeit würden verfolgt wie bisher, auch Eingliederungsvereinbarungen und Maßnahmen würden angeboten, die Arbeitslosen blieben weiter verpflichtet, Arbeit zu suchen und anzunehmen. Die meisten werden wie bisher froh sein, wenn sie überhaupt etwas finden. Andere, die die Hoffnung schon aufgegeben haben, werden sogar froh sein, einen Ein-Euro-Job oder ein Praktikum zu bekommen ...

Es ändert sich nur, dass beide Seiten wieder gleichberechtigt miteinander reden müssen, dass Eingliederungsvereinbarungen nicht als einseitige Vordrucke mit endloser Sanktionsandrohung unterschrieben werden müssen, dass Arbeitslose nicht Angst vor dem finanziellen Absturz haben müssen, wenn sie über ihren Lohn verhandeln oder eine Maßnahme ablehnen wollen, die für sie keinen Nutzen bringt. Die Mitarbeiter der Behörde könnten sich wieder auf echte Vermittlungs- und Beratungsarbeit konzentrieren, statt unrealistische Vorgaben zur Kostensenkung und Statistikverschönerung einhalten zu müssen.

Das wäre ein Signal an alle Arbeitslosen, dass sie gefragt sind, ihre Fähigkeiten beim Umgang mit der Krise einzubringen.

Die Öffentlichkeit hat demgegenüber noch nicht wahrgenommen, dass außer der Absenkung der Regelleistungen im Vergleich zur früheren Arbeitslosen- und Sozialhilfe auch die Rechte und Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeitslosen Schritt für Schritt abgebaut worden sind.

Sie können nicht mehr ohne existenzielle Gefahr für sich und ihre Familie über einen angemessenen Lohn verhandeln, was von vielen Firmen ausgenutzt wird. Erschwerend kommt hinzu , dass ihnen bereits nach einem Jahr Arbeitslosigkeit Arbeiten aller Art zugemutet werden, während vergleichbare Kollegen ihre bisherigen Arbeitsplätze bis zu zwei Jahre behalten, indem sie als Kurzarbeiter öffentlich gefördert werden.
Die überwiegende Zahl der Sanktionen bezieht sich inzwischen zudem nicht mehr auf Arbeitsangebote, sondern – von Meldeversäumnissen abgesehen – auf Maßnahmen aller Art, die der Betroffene nicht beeinflussen kann (vom wiederholten Bewerbungstraining über Praktika ohne Anstellungsperspektive bis hin zur Arbeitsgelegenheit, die aber nicht entsprechend bezahlt wird und reguläre Arbeitsplätze verdrängt).

Gleichzeitig werden, auch im Gegensatz zu früher, Familien in Haftung genommen; in den schlimmsten Fällen müssen Kinder bereits ihre Eltern vom Regelsatz miternähren. Menschen unter 25 Jahren stehen aus nichtigen Anlässen vor der völligen Mittellosigkeit.

Die Gerichte kommen zwar ihren Kontrollaufgaben nach, aber sie sind damit inzwischen so völlig überlastet, dass auch ihnen Kürzungen auf allen Ebenen drohen. Durch die erweiterte Anordnung des sofortigen Vollzugs ist der Weg zum vorläufigen Rechtsschutz durch Gerichtsbeschluss zudem so kompliziert geworden, dass nur ein Teil der Arbeitslosen es schafft, ihn zu nutzen.

Mit dem Anwachsen der Arbeitslosigkeit droht eine bequeme weitere Statistikbereinigung auf Kosten der rechtlosen Arbeitslosen, die sich immer schwerer wehren können. Der Arbeitgeberpräsident forderte kürzlich: “Die Wirtschaft braucht in der gegenwärtigen Lage ein Belastungsmoratorium.“ Die Arbeitslosen haben keinen so einflussreichen Präsidenten, aber ein Belastungsmoratorium brauchen sie mindestens auch!

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